Mit dem Fingernagel sanft über die weiß grundierte Leinwand fahrend blickt er in das scheinbare Nichts. Das feine Korn ist Anfang seines malerischen Alphabets. Bleistifte, Farbkreiden, Ölfarben gleiten über das jungfräuliche Feld, zaghaft nervös, dann vehement kritzelnd, nur dem Widerstand der Leinwand ausgeliefert. Spachtel und Pinsel bewegen sich spielerisch intuitiv ziellos frei der Bildfindung entgegen, additiv und subtrahierend.
Sensible Linien verlieren sich in inneren Tiefen, Volumen grenzen an Leere. Äußerste Zartheit wächst im Farbfluss zu demonstrativer Stärke. Anima – Animus.
Frederik Schikowski: Herr Mosny, beschreiben Sie doch bitte einmal ihre Arbeitsweise. Soweit ich weiß, stellen Sie sich ja nicht einfach vor eine Leinwand und fangen spontan an zu malen. Vielmehr gibt es einen ganzen vorbereitenden Prozess.
Gonn Mosny: Ja, ich habe eine Tradition von Willi Baumeisters Schule, bei dem ich an der Stuttgarter Akademie für bildende Künste studiert hatte. Ich verwirkliche, was er uns beigebracht hat. Baumeister war ein großartiger Lehrer und Philosoph, der uns die Zen-Lehre geschenkt hat. Er hat uns das Vokabular gegeben und die geistige Ebene, von der ich heute noch zehre. Alles was ich mache, geht aus dieser Zen-Lehre hervor. Das zielgerichtete Vorgehen mit dem Willen funktioniert nicht. Es geht vielmehr um ein zielloses Zielen: Es geschieht. Dieser japanische Zen-Buddhismus hatte für uns tatsächlich eine Führungsfunktion. Es hört sich für den Laien unverständlich an, aber man lässt malen: Es malt. Und dafür muss man diese Offenheit haben, und das habe ich während meiner ganzen Lehrjahre trainiert. Die Vorgehensweise ist, kein Ziel zu haben. Keinerlei Gedanken zu haben, dass das Bild werden muss, sondern sich frei machen. Sich auch von der Materie und der Materie „Bild“ freimachen, also auch von der Leinwand und allem, was dazugehört. Sich einfach sagen: „Es darf Nichts werden, es muss Nichts werden. Ich bin glücklich mit dem Nicht-Werden“. Man ist sozusagen Außenseiter und beobachtet das, was geschieht. All das ist sehr abstrakt, das weiß ich. Viele nehmen das ja auch nicht ernst, da wird man belacht. Das stört mich aber überhaupt nicht. Ich habe die Praxis, dass es so ist. Auch heute noch, wenn ich male.
Die repräsentativen Absichten hinter dieser Ausstellung sind die der ästhetischen Geste und der historischen Provokation. Erstere wird durch die außergewöhnliche malerische Ausdruckskraft des deutschen Malers Gonn Mosny repräsentiert, und letztere durch den absichtlich provokanten Aufbau durch den Kurator der Ausstellung. Eine Hängung oberhalb der Linie (Above the Line, heute meist als St. Petersburger Hängung bezeichnet), war eine Herangehensweise, Wandarbeiten vom Boden bis zur Decke zur Darstellung zu bringen, die von nationalen Akademien und Salons im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert benutzt wurde.
Bei meiner Europareise im Jahr 1998 zu drei der wichtigsten Europäischen Kunstmessen, der Fiac in Paris, der Kunstmesse in Wien und der Art Cologne in Köln lernte ich „Die Jungs“ oder wie wir so schön in Mexiko sagen würden „Gonns Chamacos“ kennen. Es war für mich die wichtigste Begegnung mit einem Kunstwerk, das ich bis heute, also nach 10 Jahren, begleiten darf.