• Heinz Ohff zur Publikation „GONN MOSNY, Atmen und Malen“, das kunstwerk, 1990

    Kein Kritiker ist allwissend. Es erstaunt ihn trotzdem, auf eine ausführliche und gut gemachte (sowie teure) Monographie eines Malers zu stoßen, dessen Namen er noch nie gehört hat. Natürlicherweise sollte er die Rezension eines Buches über einen Künstler ablehnen, von dem er kein Werk in Original gesehen haben kann.
    Ausnahmen bestätigen freilich die Regel. Gonn Mosny hat diesen seinen Namen erst mit 55 angenommen und ausgestellt scheint er unter ihm noch nie zu haben: jedenfalls gibt der Lebenslauf kein Museum, keine Galerie, keinen Ort einer Ausstellung an. Also dürfte es jedem Menschen der Kunstszene gehen wie mir. Kunsthistoriker, Museumsdirektor oder Kritiker: hier stellt sich jemand, umgekehrt wie üblich, durch ein Prachtbuch vor, statt dass eine umfangreiche Monographie den Schlusspunkt hinter eine malerische Karriere setzt.

    Es geht auch anders, sagt Brecht, aber so geht es auch. Im übrigen berührt es ein häufiges oder wohl sogar exemplarisches Künstlerschicksal: ein Vollblutmaler wird von seinem eigentlichen Weg abgelenkt, meist durch die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. Er wird auf einem künstlerischen – meist kunsthandwerklichen – Gebiet tätig und versucht im steigenden Alter dann, wieder an seine eigentliche Aufgabe zu gehen, den Beruf wieder gegen die Berufung einzutauschen. Das gelingt selten, verlangt jedoch eine künstlerische Konsequenz, vor der man den Hut ziehen sollte. Mosny- oder wie immer er heißen mag- ist 1930 in Hamburg geboren und hat bis zu dessen Tod bei Willi Baumeister studiert. Es folgen dann, wie im „Biographischen Überblick“verraten wird, „Teilnahme und Preise bei vielen Wettbewerben vorwiegend architekturgebundener Malerei in Naturstein, Keramik und Holz für öffentliche Gebäude in Nord – und Süddeutschland“, also angewandte Arbeiten. 1971 ist er Gründungsrektor der Staatlichen Fachhochschule für Gestaltung in Pforzheim mit einer Professur für Malerei, 1977 gibt er das Rektorat auf und konzentriert sich auf die reine Lehrtätigkeit. Ab 1984 lehnt er weitere architektonische Aufträge ab und zieht – die Kinder sind aus dem Haus – nach Fontanille bei Gordes in Südfrankreich, wo er Cézannes Mont St. Victoire vor Augen, sich wieder ganz auf die Malerei konzentriert.

    Nichts erfahren wir von seiner Reliefkeramik, nichts von der Brotarbeit. Nur die von 1985 bis 1988 entstandenen Arbeiten, Bäder und Zeichnungen, sind das Thema – eine Art von Wiedergeburt hat stattgefunden, aus dem eingesponnenen Kokon ist ein Schmetterling geschlüpft. Er flattert, wie die vorzüglich gedruckten Farbtafeln zu beweisen scheinen, selbstbewusst ins Licht.
    Ein Maler für Nostalgiker. Denn sein Kanon beruht auf einer – vielleicht allzu schnell – bereits historisch gewordenen kontemplativen Ästhetik. Wer liest heute schon noch Eugen Herrigeis
    „Zen in der Kunst des Bogenschießens“. Das Buch, das vor vierzig Jahren jeder gelesen haben musste, ehe er einen Pinsel auch nur zur Hand nahm, „ist sein ständiger Begleiter und tief in sein Gedächtnis eingeprägt“, wie sein englischer Biograph Mark Gisbourne verrät. Wobei er hinzufügt: „Ihn interessieren nicht die metaphysischen und/oder religiösen Aspekte des Buddhismus, sondern nur die Methode, eine Absicht vollkommen auszudrücken“. Das war schon damals so „Zen“war – und ist in diesem Fall – ein meditatives Prinzip, das sich erlernen und ausüben lässt, worauf der Untertitel der Monographie hinweist. Er basiert auf zwei Zeilen aus E.M Clorans „Syllogismen der Bitterkeit“von 1952: „Fragt mich nicht mehr nach meinem Programm. Atmen, ist das keines?“

    Die Malerei scheint mir, immer mit der Einschränkung, dass ich noch kein Original gesehen habe, ist den Reproduktion zufolge konsequenterweise eine Mischung aus Willi Baumeister und Cy Twombly. Zwei Gestaltungsmöglichkeiten stehen einander gegenüber: eine eher strukturale, feste, körperhafte (Baumeister) und eine skripturale, lockere, aufgelöste, hingeschriebene (Twombly). Wenn man will, kann man beides als Ein-und Ausatmen interpretieren, obwohl beide Elemente auch etwas weniger Natürliches und Reibungsloses bekommen – sowohl auf den Leinwänden als auch den Zeichnungen wirken sie oft einander entgegengesetzt, sorgen für Spannung und eine gewisse malerische Dramatik, die mitunter auch chaotisch werden kann oder tänzerisch – in mehrere Bäder, könnte man meinen, habe Hann Trier hineingemalt. Trotzdem ergeben sich auch plötzliche gegenständliche Andeutungen, eine Figur, eine Herzform, ein Tisch. Ich argwöhnte, dass diese an der notwendigen Verkleinerung der Vorlagen liegen könne, aber auch Gisbourne, der die Originale kennt, ist dies Phänomen aufgefallen, denn er schreibt einmal von „übergreifenden Formen, die manchmal als unbeabsichtigte Figuration interpretierbar“seien und ein andermal, derMaler sei „überraschter als die Betrachter, wenn sie auf eine figürliche Assoziation hinweisen“. Er fügt in diesem Zusammenhang hinzu: „Es gibt da Zeichen, die in einer Welt zwischen Sprache und Vorstellung existieren, kleine Ideogramme ohne Bezug, außer dem zu sich selbst.“
    Das ist gut gesehen und gut gesagt, wie überhaupt der 42 jährige englische Doktorand über die „Art Brut“ – der vorher, wie im Klappentext zu lesen, Polizeioffizier, Galerist und Franziskanermönch war – sich als solider und gründlicher Analytiker entpuppt, der seine Aufgabe zwar vehement, aber nicht überenthusiastisch anzupacken versteht.
    Ob Gonn Mosny sich durchsetzten wird?
    Die Zeichen der Zeit stehen gegen ihn. Tachismus wird zwar wieder geduldet, aber der Kunstmarkt beruft sich auf die altbekannten Namen und duldet selten neue. Aber es hat es ja auch schon gegeben, dass die besten Bilder einer Kunstrichtung gemalt worden sind, als diese längst „altmodisch“geworden war. Musterbeispiel: die Seerosenbilder von Monet, der freilich nie ausgesetzt und Relief-Keramik gemacht hat.
    Wie dem aus sei: man wird neugierig. Was mich betrifft, ich würde sogar eine kleine Reise antreten, um ein Original von Gonn Mosny zu sehen. Und damit fängt der Bekanntheitsgrad eines Künstlers am Ende an.

    Heinz Ohff

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